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  • AutorenbildChristian Gersbacher

Mikołaj (22): Was bedeutet es in Polen LGBTQ*- Aktivist zu sein?



LGBTQ*-freien Zonen, Politiker*innen, die gegen queere Menschen hetzen. Willkürliche Festnahmen von mehr als 45 LGBTQ*-Aktivist*innen in Warschau im August 2020.

Ein Gespräch mit Mikołaj Obalski über seinen Kampf für Akzeptanz und gleiche Rechte.

Der 22-jährige lebt in Łódź, der drittgrößten polnischen Stadt und bekommt dort tagtäglich mit, was es bedeutet als schwuler junger Mann in Polen zu leben. Mikołaj ist nicht nur Aktivist, sondern auch Assistent der polnischen Parlamentsabgeordneten Anita Sowińska. 2019 und 2020 war er für die Auszeichung zur ,,Persönlichkeit des Jahres“ seiner Region Woiwodschaft Łódź nominiert.



























Mikołaj vor dem polnischen Parlament in Warschau: Es gibt keine Freiheit ohne die Gleichheit


Mikołaj, diese Woche wurde das neue Gesetz ,,Lex czarnek" im polnischen Parlament verabschiedet. Worum geht es in diesem Gesetz genau?

Das Gesetz zielt darauf ab, dass die Kompetenzen der Schulleiter und des Kuratoriums erheblich einschränkt und die Aufklärung über LGBTQ* Themen in Schulen weiter unsichtbar gemacht wird. Ohne Zustimmung der staatlichen Schulaufsicht ist es zukünftig nicht mehr möglich, dass außerschulische Organisationen und Vereine an Schulen eingeladen werden. Ziel von „Lex Czarnek“ ist es, Initiativen wie den Rainbow Friday (Tag der LGBTQ*-Sichtbarkeit in Schulen) oder den Sexualkundeunterricht zu unterbinden. Wer gegen das Gesetzt handelt, droht die Amtsenthebung und im schlimmsten Fall eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren. 227 Abgeordnete im polnischen Parlament stimmten für die Änderung, 214 waren dagegen, niemand enthielt sich. Dieses Gesetz ist wie ein Maulkorb für alle, die sich für mehr Vielfalt und Offenheit an Schulen einsetzten.

Warum führt die polnische Regierungspartei PiS einen solchen Anti-LGBTQ*-Kurs?

Seit Jahren setzt die PiS in ihre Wahlkampf auf Einschüchterung der polnischen Bevölkerung. Als 2015 die Flüchtlingskrise im Mittelmeerraum in Europa aufkam und Menschen vor dem Krieg aus Syrien, Afghanistan und dem Irak flohen, lief in Polen die Präsidentschaftskampagne von Andrzej Duda. Damals hatte die PiS mit "Einmarsch von Einwanderer, die Frauen und Kinder vergewaltigen wollen“ Wahlkampf gemacht und damit die Wahl gewonnen. 2018 fanden in Polen Kommunalwahlen statt. Die PiS hat sich dann eine neue Idee ausgedacht, um den Menschen Angst einzujagen und die Wahl zu gewinnen:Die „LGBT-Ideologie“.

2019 und 2020 konzentrierte sich die Taktik der PiS darauf, den Menschen öffentlich Angst vor der LGBTQ-Community zu machen.

In dieser Zeit fanden Wahlen zur EU, zum Parlament und Senat sowie zum Präsidenten statt. Menschenverachtende Worte wurden damals vom polnischen Präsidenten Durde geäußert: ,,Diese Menschen versuchen uns davon zu überzeugen, dass sie Menschen sind und das ist nur eine Ideologie“ So gewannen sie erneut die Wahlen und sorgten für Spaltung und Hass in der polnischen Gesellschaft. Gerade entstehen unter der Beteiligung der Kirche neue Ideologien. Ich habe schon von der „Single-Ideologie" oder "Öko-Terror-Ideologie" gehört. Ich frage mich: Was das sein soll.

Wir arbeiten, zahlen Steuern und leben wie alle andere auch. Wir wollen lediglich die gleichen Rechte haben, die heterosexuellen Menschen auch zustehen.

Pride Parade durch Warschau, Foto: Piotr Lapinski / KPH


Ich habe in den Medien Bilder gesehen, wie Regenbogenfahnen verbrannt wurden und großen Gegendemos bei Pride Demos gibt. Woher kommt dieser Hass in der polnischen Bevölkerung?

Das Problem beginnt ganz oben. Politiker nutzen die Worte „Pädophile“ oder „Perverse“ in den staatlichen Medien. Durch Hassreden auf Parlamentstribünen und vielen Angehörigen der Kirche wird die Spaltung der Gesellschaftlich weiter gefördert. Die heutige Regierung in Polen schützt Menschen nicht vor Hass, sondern fördert und legitimiert diesen durch ihr Verhalten. Das hat auch etwas damit zu tuen, dass die Umsetzung von Gesetzen (Strafrecht, Ordnungswidrigkeit) von Gerichten in Polen sehr unterschiedlich gehandhabt wird.












































Flagge zeigen für LGBTQ* Rechte


Mikołaj, wie erlebst du den Umgang der polnischen Justiz und Polizei gegenüber LGBTQ*-Aktivisten derzeit?

Ich habe mehrere Gerichtsverfahren hinter mir. Im Oktober letzen Jahr wurde ich von einem Polizisten bei einer Demonstration weggestoßen. Mein Kopf schlug auf dem Bürgersteig auf und ich verlor für einen Moment das Bewusstsein.


Teilweise geht die Polizei brutal auf die Demonstranten los. Polizisten treten auf Menschen ein, benutzen Schlagstöcke und Tränengas.

Bei Festnahmen wird man oft stundenlang auf der Polizeistation festgehalten und muss auf einen Verhör warten. Als Assistent der polnischen Abgeordneten Anita Sowińska habe ich schon wiederholt Menschen geholfen, die von der Polizei geschlagen und willkürlich festgenommen wurden. Wir helfen diesen Menschen, die nichts falsch gemacht haben sich rechtlich dagegen zu wehren. Ein paar Anhörungen und Anschuldigungen liegen schon hinter mir, z.B "Störung des Rosenkranzgebetes wegen Abtreibungssünde". Ich habe viele davon gewonnen. Zeitweise wurde ich quasi ständig von der Polizei verfolgt und stand unter Beobachtung.


Ich tue das für mich und für andere, für ein freies, tolerantes und demokratisches Polen.

Mikołaj bei einer Kundgebung für LGBTQ* Rechte


Denkst du, dass die EU mehr gegen die Anti-LGBTQ-Politik in Polen unternehmen sollte?

Die EU sollte die Mitgliedstaaten aufgefordern, internationale Vereinbarungen, Pakte, Gesetze und Konventionen einzuhalten. Eine solche Konvention ist die Europäische Menschenrechtskonvention Artikel 14 dieser Konvention spricht von Nichtdiskriminierung.

Daher liegt es in der Verantwortung aller EU-Mitgliedsstaaten, die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft zu respektieren. Heute erwarte ich Solidarität und Unterstützung von der EU, ich möchte nicht, dass jemand etwas gegen mein Land tut, aber ich möchte, dass die EU das Thema Freiheit, Toleranz und Demokratie in Polen konsequent angeht.

Wie fühlst du dich als LGBTQ-Person, die jetzt in Polen lebt? Hast du selbst schon Anfeindungen oder Gewalt erlebt?

Ich habe Angst um meine Freund*innen aus der queeren Community in Polen und deshalb kämpfe ich für ihre Rechte, für meine Rechte. Meine Regenbogenflagge wurde bereits mehrmals angezündet, ich wurde beschimpft und körperlich angegriffen.

Aber ich gebe nicht auf, weil ich Menschen liebe und ich es für sie tue.


Würdest du mit einem anderen Mann Händchen haltend durch die Straßen deiner Stadt laufen?

Ich würde mit allen Menschen auf der Straße Händchen halten, egal ob Mann oder Frau. Ich möchte mich nicht verstecken und erwarte dafür nur eins: Freiheit und Respekt.



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