Dieses Jahr findet in der serbischen Hauptstadt Belgrad die EuroPride statt. Seit 1991 wird die EuroPride jährlich in wechselnden europäischen Großstädten ausgetragen, um ein gemeinsames Zeichen für mehr Vielfalt in Europa zu setzen. Neben der traditionellen Pride-Parade finden zudem mehrerer kulturelle und künstlerische Veranstaltungen im Bezug auf LGBTQ* und Menschenrechte statt.
Für die serbische Politik geht es einerseits um die Zukunft in der EU. Andererseits versuchen Populisten mit den Forderungen nach einem traditionellen Familienbild Wahlen zu gewinnen. Wie steht es um die Rechte von LGBTQ* in Serbien? Wie ist die Akzeptanz von queeren Menschen in der Gesellschaft? Ein Gespräch mit Nikola Planojević aus Belgrad über sein Coming Out, die Akzeptanz von queeren Menschen und die serbische Politik. Nikola hat Psychologie in London studiert und absolvierte seinen Master im Studiengang Human Rights an der Universität Wien. Heute arbeitet der 29-jährige bei der LGBTQ*Organisation Dasezna in Belgrad.
Nikola Planojević, 29 aus Belgrad engagiert sich für LGBTQ* Rechte in Serbien.
Entwicklung der queeren Kultur in Belgrad
Die queere Szene ist in der Hauptstadt Belgrad in den letzen Jahren stark gewachsen. Vor ein paar Jahren hat alles mit ein paar queeren Party-Events begonnen, heute gibt es viele Bars und Clubs für queere Menschen. ,,In Belgrad hat sich in den letzen Jahren eine lebendige Drag-Szene entwickelt, da bin ich großer Fan davon“, sagt Nikola. Auch auf Sozialen Medien wird immer mehr über queere Themen berichtet. Belgrad ist mittlerweile auch für Transsexuelle weltweit eines der bekanntesten Zentren für geschlechtsanpassende Operationen. Helena Vuković, der serbische Militär-Offizier der zur Frau wurde, ist die wahrscheinlich berühmteste Transsexuelle auf dem Balkan.
Foto: Nikola Aleksic / Unsplash: Blick auf Belgrad
In kleineren Städten und in ländlichen Gebieten in Serbien ist die Situation für LGBTQ* hingegen noch deutlich schwieriger. Konservative patriarchalische Rollenbilder prägen auch heute noch viele Gegenden in Serbien. Nikola ist in Kraljevo aufgewachsen. Die Stadt zählt 65.000 Einwohner und ist zwei Autostunden von Belgrad entfernt. Wirklich viel Berührungspunkte mit queere Menschen hatte er dort nicht. Nicola wusste trotzdem schon früh, dass er auf Jungs steht und hat sich mit 16 bei seinen Freunden in der Schule geoutet. Vor seinem Outing hatte er sich viele Gedanken gemacht. Er hatte einige Geschichten von Bekannten gehört hatten, bei denen das Outing nicht besonders gut verlief. ,,Zum Glück hatte ich einen sehr offenen Freundeskreis, meine Freunde haben das alles gut aufgenommen und hatten kein Problem damit“, sagt Nicola.
Vor seinem Outing bei seinen Eltern hatte er großen Respekt. Erst mit Anfang 20 hatte er dann den Mut mit ihnen zu sprechen. Die haben aber auch überraschend positiv reagiert. Seine Mutter meinte nur, dass sie sich Enkel-Kinder gewünscht hätte. ,,Dafür ist jetzt mein jüngerer Bruder zuständig“, sagt Nicola und lacht.
Foto: Pride Info Center in Belgrad: Informations- und Anlaufstelle für queere Fragen
Durch seine Arbeit bei Dasezna weiß Nicola, dass nicht alle queere Menschen so viel Glück haben, wie er. Die Organisation setzt sich für die Bekämpfung von Hasskriminalität gegenüber LGBTQ* in Serbien ein. Nicola ist dort für das Monitoring zuständig, dass bedeutet er sammelt Informationen über Straftaten von LGBTQ* feindlicher Hasskriminalität, wertet diese aus und sorgt dafür, auf die Probleme der queere Community öffentlich aufmerksam zu machen.
Akzeptanz von LGBTQ* in der Gesellschaft
Obwohl die feindliche Haltung gegenüber queere Menschen in den letzten Jahren abgenommen hat, glauben laut einer Umfrage des Center for Free Elections and Democracy (CeSID), immer noch 57 Prozent der Menschen in Serbien, Homosexualität sei eine Krankheit. 20 Prozent sind laut Umfrageergebnissen sogar bereit, Gewalt gegen Homosexuelle zu unterstützen oder würden diese rechtfertigen. Über 38 Prozent der Befragten bezeichnen Homosexualität als eine ,,Erfindung des Westens“ , die auf die Zerstörung der Familie und der serbischen Tradition abzielt. Es fehlt deutlich an Aufklärung über queere Themen auch an Schulen, sagt Nicola. Zwar sind in den letzen Jahre auch im serbischen Fernsehen und in den Medien queere Menschen mehr sichtbar, aber es gibt in jedem Fall gesellschaftlich noch viel zu tuen.
Eine offen lesbische Regierungschefin, aber wenig Rechte für LGBTQ*?
Im Jahr 2009 stimmte das serbische Parlament mit einer knappen Mehrheit, unter Protesten von Konservativen und der orthodoxen Kirche, für ein Antidiskriminierungsgesetz, das auch das Merkmal der sexuelle Orientierung enthält. Seit Dezember 2012 gibt es im Strafrecht Bestimmungen gegen lgbt*-feindliche Hasskriminalität.
Obwohl das Land seit 2017 mit Ana Brnabić eine bekennend lesbische Regierungschefin hat, gibt es in Serbien bis heute weder eine gleichgeschlechtliche Ehe noch eine eingetragene Partnerschaft. Im Sommer 2021 wurde monatelang über einen Gesetzentwurf für die eingetragene Partnerschaft für homosexuelle Paare im Serbien diskutiert. Präsident Aleksandar Vučić sagte, er können das Gesetz nicht unterschreiben, da die serbische Verfassung die Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau definiert. Ein solches Gesetz wäre ein Verfassung gegen die Verfassung. ,,Das ist völliger Quatsch", sagt Nicola. Laut einer Umfrage vom Dezember 2020 unterstützt nur ein Viertel der Menschen in Serbien die Einführung der Homo-Ehe. Auch die einflussreiche Serbisch-Orthodoxe Kirche hatte gegen das Gesetz Stimmung gemacht. Der Gesetzentwurf wurde schließlich abgelehnt.
Foto: Belgrad Pride
Pride in Belgrad: Nicht immer friedlich
2001 fand in Belgrad die erste Pride Serbiens statt. In den Jahren 2009, 2011 und 2012 wurde die Belgrade Pride jedoch kurzfristig aus Sicherheitsgründen verboten. Hintergrund war, dass es bei der Pride zu massiven Ausschreitungen durch Gegendemonstration gekommen war. Teilnehmer wurden mit Steinen und Brandbomben beworfen. Die LGBTQ*-Organisation ILGA-Europe kritisierte das Verbot: „Es darf nicht sein, dass die Regierung vor Drohungen von Gegendemonstranten einknickt und eine friedliche Pride-Demonstration verbietet.“ Im Jahr 2013 wurde eine spontane ,,Ersatz-Pride“ durch die größten Hauptstrassen im Zentrum Belgrads durchgefürt. Da die Kundgebung erst spontan organisiert wurde, erfuhren mögliche Gegendemonstration zu spät davon und die Veranstaltung verlief friedlich. Seit 2014 findet die Belgrad Pride wieder regulär, unter Begleitung von einem massiven Polizeiaufgebot, statt. Als Teil der Pride Week 2019 hatten verschiedene LGBTQ*-Organisationen gemeinsam sogenannte ,,Pride Caravans“ gestartet, die Städte in ganz Serbien besucht haben. Damit sollten auch Menschen erreicht werden, die in kleinen Städten von Serbien leben in denen es bisher noch kaum Sichtbarkeit von LGBTQ* gibt. In vielen Städten wurden die Aktion freundlich begrüßt, aber es gab auch Zwischenfälle. In zwei Fällen musste ein Besuch abgesagt werden, da rechte Gruppen den Mitgliedern der ,,Pride Caravans“ mit Gewalt gedroht hatten.
In diesem Jahr wird Belgrad nun die EuroPride austragen. Unter dem Slogan „It is time.“ soll vom 12- 18. September gezeigt werden, dass es Zeit ist, dass queere Menschen im gesamten Balkan die gleichen Rechte verdient haben. Nicola hofft, dass viele queere Menschen zur EuroPride nach Belgrad kommen und so die Stadt etwas bunter machen. Zusätzlich zur Pride wird es auch ein Kulturprogramm mit Musik-Events, Ausstellungen, Vorträgen und Diskussionen geben. Die EuroPride in Belgrad spielt kulturell und politisch eine wichtige Rolle, was hier passiert hat auch Auswirkungen auf queere Menschen in anderen Balkan Ländern.
Mehr Informationen unter:
Belgrad Pride: https://europride2022.com/programs
LGBTQ* Organisation Dasezna: https://dasezna.lgbt/en/
3sat Doku: Queer Balkan
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